Zu den Ereignissen der Demo zum 8. Mai

Anrede,
obwohl der Aufmarsch der jungen Nationaldemokraten am 8. Mai bereits im jüngsten Bürgerausschuss Thema war, besteht für uns nach wie vor Klärungsbedarf.

So ist uns der Magistrat bis heute eine Erklärung schuldig, aus welchen Gründen der Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 25. März nicht umgesetzt wurde, in dem er gebeten wurde, alle rechtlichen und organisatorischen Maßnahmen zu ergrei-fen, um den geplanten NPD-Aufmarsch zu unterbinden. Da vom zuständigen Dezernat nach eigener Auflistung bereits am 16. März den Jungen Nationaldemokraten in einem Kooperationsgespräch Erbenheim als alternatives Aufmarschgebiet zur Innenstadt offe-riert wurde, stellt sich zudem die Frage, wieso der Magistrat seelenruhig die Stadtver-ordnetenversammlung beschließen ließ, ohne sie über diese Vorabsprache, über diese Absicht aufzuklären. Auch über die am 25. März getroffene endgültige versammlungs-rechtliche Entscheidung zur Erbenheimer Wegstrecke wurde die Öffentlichkeit viel zu lange im Unklaren gelassen. Erst am 03. Mai wurde der Erbenheimer Ortsvorsteher darüber informiert, was am 08. Mai sein Ortsteil zu erwarten habe. Sind die Erbenhei-mer zusammen mit ihrem Ortsvorsteher etwa Bürger zweiter Klasse?

Versetzen wir uns ganz kurz zurück: Am 25. März diskutiert das Stadtparlament, dis-
kutieren wir alle hier, den anstehenden Aufmarsch der NPD-Nachwuchsorganisation und beschließen wortwörtlich:

Der Magistrat wird aufgefordert, alle rechtlichen und organisatorischen Maßnah-men zu ergreifen, um den geplanten NPD-Aufmarsch zu unterbinden.

Und am gleichen Tag übermittelt die Ordnungsdezernentin der JN die Erlaubnis, in Er-benheim zu demonstrieren. Fühlen Sie sich auch … gelinde gesagt nicht ernst genom-men?

Aber, es geht hier nicht nur um Abläufe und Termine, um Rechtfertigungen und Erklä-rungen, es geht auch um Grundsätzliches.

Anrede
In großer Gemeinsamkeit haben wir das Mahnmal beschlossen, das am Michelsberg an die von den Nazis ermordeten Wiesbadener Juden erinnern wird. Aber in Erbenheim durfte Antisemit Udo Pastörs seine antijüdischen Hetzparolen verbreiten. In wörtlicher Übereinstimmung mit der nationalsozialistischen Weltanschauung wird von ihm alles Jüdische verteufelt, unser Land sei eine Judenrepublik, der Bundestag die Knesset in Berlin.

Erst kürzlich haben wir gemeinsam das Mahnmal ‚Schlachthoframpe‘ eingeweiht, das an die Deportation der Wiesbadener Juden in den Gastod erinnert. Aber in Erbenheim durfte Udo Pastörs die widerwärtigen Parolen verkünden, für die er kurze Zeit zuvor in Saarbrücken zu zehn Monaten Haftstrafe mit Bewährung verurteilt wurde. Leider waren die Gegendemonstranten -mich eingeschlossen- von der Polizei so weit von dem Auf-marsch der Jungen Nationaldemokraten entfernt gehalten worden, dass keine unmittel-bare Wahrnehmung dessen möglich war, was da vorging. Nach übereinstimmenden Berichten von Beobachtern soll Pastörs die Rede, für die er verurteilt wurde, fast wort-gleich in Erbenheim wiederholt haben, ohne dass die Polizei sich veranlasst sah einzu-schreiten.

In großer Gemeinsamkeit haben wir das Bürgerprojekt ‚Stolpersteine‘ in Wiesbaden mit großem Erfolg auf den Weg gebracht. Aber in Erbenheim durften die geistigen Erben der NSDAP an Stolpersteinen in unmittelbarer Nähe vorbeimarschieren. Auch wenn jetzt eifrig versichert wird, die Stolpersteine seien gegen die Tritte der Springerstiefel geschützt gewesen. Wir sagen – diese Ignoranz gegenüber den Opfern ist ein Skandal und für unsere Stadt rufschädigend.

In großer Gemeinsamkeit betreiben wir seit Jahren eine Integrationspolitik auf gegen-seitiger Augenhöhe, die bisher geeignet war, den guten Ruf Wiesbadens überregional zu mehren. Aber in Erbenheim durften Ausländerfeinde und Rassisten zu Wort kom-men. Eine ihrer Parolen lautet: „Mehmet, Ali, Mustafa, geh‘ zurück nach Ankara“. Ich frage mich, wie die Verantwortlichen für die Aufmarschgenehmigung vor sich selbst, vor ihrem politischen Gewissen mit dieser eklatanten Widersprüchlichkeit ihrer Politik klar kommen.

Und noch etwas. Wie konnte es geschehen, dass die Jungen Nationaldemokraten ihre antiamerikanischen Parolen am 08. Mai, ausgerechnet am 08. Mai vor der Haustür der Amerikaner absondern durften, vor der Haustür jener, die vor rund 65 Jahren unser Land mit hohem Blutzoll von der verbrecherischen Hitlerdiktatur befreiten, wozu die Deutschen selbst nicht in Lage waren? Wo waren diejenigen in Erbenheim, so frage ich, die die Verlegung des US-Hauptquartiers nach Wiesbaden lebhaft begrüßt haben, als es jetzt darum ging, den Naziparolen gegen unseren Bündnispartner Amerika etwas entgegen zu setzen? Eine Unterstützung der Gegendemo hätte ihnen allein unter die-sem Aspekt gut zu Gesicht gestanden. In Bamberg hat sich der Oberbürgermeister an die Spitze der Bewegung gegen die NPD gestellt, in München ist unter maßgeblichem CSU-Einfluss den Neonazis die Tür gewiesen worden.

Anrede
In der Bilanz ist es für uns nicht nachvollziehbar, dass in Wiesbaden zum ersten Mal die Demonstrationsfreiheit für die Feinde unserer Demokratie höher bewertet wurde als die politische Haltung, dem braunen Jungvolk deutlich zu machen, dass ihm auf Wiesbade-ner Boden keine Entfaltungsmöglichkeit zugestanden wird. Das war bisher gute Wies-badener Tradition. Eine ‚Niederlage‘ vor dem Verwaltungsgericht wäre ein Gewinn für die politische Reputation unserer Kommune gewesen. Denn ein klares ‚Nein‘ gegen-über den jungen Nationaldemokraten hätte die politische Glaubwürdigkeit unserer Stadt nicht ins Zwielicht gerückt und hätte keinen fatalen Präzedenzfall gestiftet. Alle Demo-kraten in unserer Stadt und im Umland sind deshalb aufgerufen, im Rahmen eines brei-ten Bündnisses auch weiterhin der NPD die Stirn zu bieten. Den Magistrat fordern wir auf, zu der bisherigen Wiesbadener Tradition zurück zu kehren, wie in der Vergangen-heit alle rechtlichen und politischen Möglichkeiten auszuschöpfen, den Auftritt von neo-nazistischen Organisationen auf Wiesbadener Boden zu verhindern. Er kann dabei un-serer Unterstützung sicher sein.

Denn – und da greife ich gerne das gut gewählte Zitat Ihres grünen Jamaika-Partners auf: „Wir sind nicht nur für das verantwortlich, was wir tun, sondern auch für das, was wir unwidersprochen hinnehmen” (A. Schopenhauer).

Anrede.
Gestatten Sie mir zum Abschluss noch ein persönliches Wort. Unter der Schirmherr-schaft des Deutschen Gewerkschaftsbundes hat sich in Wiesbaden schon Ende Febru-ar unter dem Motto „Wir stellen uns quer, kein Fuß breit den Faschisten“ ein Bündnis formiert, um sich dem braunen Aufmarsch entgegen zu stellen. Diesem Bündnis habe ich mich als überzeugter Demokrat sofort angeschlossen. Auf gewerkschaftlicher Ebene gehörten ihm der DGB Wiesbaden, die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten Rhein-Main, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Wiesbaden, die Gewerk-schaft ver.di einschließlich ihrer Jugend Hessen, die IG Metall Wiesbaden-Limburg so-wie die IG Bauen-Agrar-Umwelt Wiesbaden-Limburg an, darüber hinaus die Katholische Kirche Wiesbaden (der katholische Stadtdekan hielt in Erbenheim eine bemerkenswerte Rede) und das Evangelische Dekanat Wiesbaden, der Caritasverband Wiesbaden, die Jüdische Gemeinde, die Arbeiterwohlfahrt Wiesbaden, das Aktive Museum Spiegelgas-se, um nur einige wichtige Bündnispartner zu nennen. Das Spektrum des Bündnisses war erheblich breiter und es ist nach meiner Überzeugung für unsere Demokratie ein beruhigendes Zeichen, dass sich viele junge Menschen bereit fanden, gegen das brau-ne Aufgebot auf die Straße zu gehen. Dass dabei ‚Chaoten‘, wie behauptet wurde, die Oberhand gewonnen hätten, konnte ich nicht wahrnehmen und gehört für mich in den Bereich abwertender Legende. In diesem Zusammenhang laut gewordene Vorwürfe gegenüber Spitzenpolitikern der SPD weise ich deshalb mit aller Entschiedenheit und schärfstens zurück. Schließlich hat sich der hessische Innenminister Volker Bouffier im Landtag beim Wiesbadener SPD-Landtagsabgeordneten Ernst Ewald Roth ausdrück-lich dafür bedankt, dass er im Bündnis eine gute und ausgleichende Rolle gespielt ha-be. Deshalb halte ich es für angebracht, dass sich Stadträtin Zeimetz, die diese Vorwür-fe öffentlich geäußert hat, in aller Form bei der Bundestagsabgeordneten Wieczorek-Zeul und beim Landtagsabgeordneten Ernst-Ewald Roth entschuldigt.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit in der Hoffnung, dass Sie unserem Antrag Ihre Zustim-mung geben.