Sachliche Diskussion über Integration

FR vom 18.9.2010:

SPD-Debatte über Integration

Sarrazin ist immer dabei

Von
Dimitri Taube

Die SPD Wiesbaden diskutiert sachlich über Integration in der Landeshauptstadt. Nur Sarrazin und seine Thesen sorgen für Aufregung.

Thilo Sarrazin sorgt für Aufregung, auch wenn er gar nicht vor Ort ist. Wie am Donnerstagabend im Bistro „Leib und Seele“ in der Volkshochschule, bei einer SPD-Veranstaltung mit dem Titel „Vielfalt in der Stadt“. Es ist eine konstruktive Diskussion über Integration in Wiesbaden – bis nach 60 Minuten zum ersten Mal der Name „Sarrazin“ fällt. Plötzlich geht es laut, polemisch und hitzig zu, ein Besucher spricht von „irren Thesen“.

Dabei soll es eigentlich „um eine ehrliche Problemanalyse und um Lösungswege gehen – ohne Denkverbote, ohne Sarrazinaden“. So steht es in der Einladung der SPD für ihre Veranstaltung aus der Reihe „Wiesbaden – Stadt der Zukunft“ mit der zentralen Frage: Wie wollen wir im Jahr 2030 leben?

Die SPD will „Inhalte“, keine „Parolen“. Das wollen auch die meisten der 60 Besucher, darunter viele mit Migrationshintergrund. In Wiesbaden hat schon heute mehr als ein Drittel der Menschen Wurzeln in einem anderen Land.

Doch die Zahl sagt wenig aus, das wird an diesem Abend wieder deutlich. Weil darunter auch viele fallen, für die Integration kein Thema ist. Sie sind integriert. Zum Beispiel Abdullah Zadran. Der Wiesbadener Gastronom – einer von fünf Experten der Diskussionsrunde – lebt seit 27 Jahren in Deutschland. Sein Appell: Deutsch lernen, so schnell wie möglich. Klinge einfach, sei schwer, müsse aber sein. Die Psychologin Tatyana Vligelmi und Razaw Akram, die im Einwohner- und Integrationsamt arbeiten, stimmen dem zu.

Vligelmi lebt seit zehn, Akram seit zwölf Jahren in Deutschland. Sie arbeiten in Wiesbaden mit Migranten und wissen: Selbst die gut ausgebildeten Einwanderer können nicht Fuß fassen, weil ihre Abschlüsse hier nichts gelten. Manuela Pintus, Leiterin des Migrationsdienstes bei der Caritas, hält das für ein Riesenproblem. Dabei sei man dringend auf Migranten angewiesen, sagt Herbert Mai vom Vorstand der Fraport AG.

Die Fünfer-Runde ist sich einig: Wiesbaden wird 2030 noch vielfältiger. Schon jetzt kennen sie viele positive Beispiele der Integration, Wiesbaden sei auf einem guten Weg. Widerspruch kommt aus dem Auditorium. Die Sichtweise sei teilweise „rosarot“, „politisch zu korrekt“. Eine Zuhörerin fragt, warum kein Vertreter mit türkischem Migrationshintergrund eingeladen worden sei. Denn: „In Wiesbaden haben wir mit Türken die größten Probleme, vor allem mit schlecht ausgebildeten jungen Männern.“ Die Antwort der SPD lautet: Man habe das Podium nach Kompetenz besetzt, nicht nach Nationalität.

SPD-Chef Arno Goßmann bleibt derweil gelassen. Zur Integration in Wiesbaden sagt er: „Es gibt Dinge, die mir missfallen, aber wir sind schon weit.“ Heute und in der Zukunft sei es wichtig, Kinder so früh wie möglich zu fördern. Auch die Bildung der Eltern dürfe nicht vergessen werden. Gelassen bleibt er auch im Fall Sarrazin. Die örtliche SPD habe zwar über Sarrazin diskutiert, aber Goßmann glaubt: „In Wiesbaden ist er kein großes Thema.“

(Quelle: Frankfurter Rundschau, 18.09.2010)