Von Ingeborg Toth
Es gilt bereits: Die Vergreisung der Republik fördert die innere Sicherheit. So Professor Dr. Christean Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Das Gefährliche in dieser Welt sind die jungen Männer, davon haben wir immer weniger, erklärte er. Wenn der Eindruck entstehe, dass die jungen Schläger immer brutaler werden, so seien nicht zuletzt die Medien schuld. Pfeiffer: Die Sichtbarkeit der Gewalt hat sich erhöht. Zum einen wecke jugendlicher Lifestyle das Interesse der Berichterstatter. Zum anderen gebe es eine steigende Bereitschaft, zur Polizei zu gehen.
Die Wiesbadener SPD hatte in die Räucherkammer des Schlachthofs gebeten, um in ihrer Reihe Stadt der Zukunft über das Thema Sicherheit zu diskutieren. Der Ort war mit Bedacht ausgewählt, gab es hier doch im vergangenen Jahr einen Toten. Zwei weitere Todesopfer forderten in diesem Jahr Gewalttaten am Warmen Damm und auf dem Hochschulcampus. In einem Fall war ein rassistischer Hintergrund nicht auszuschließen, so der Moderator Christoph Schmidt-Lunau, ehemals HR-Journalist. Das sind ernüchternde Fakten. Da hilft auch die Beteuerung Pfeiffers nicht viel. Der erklärte: Objektiv nimmt die Zahl der Tötungsdelikte ab, bei denen Jugendlichen zu Tätern werden.
Pfeiffer erforscht an seinem Institut regelmäßig die gefühlte Kriminalitätstemperatur. Bevor die jeweils neuesten Statistiken auf dem Markt sind, stellt er fest, wie weit das Bauchgefühl der Menschen sich von der objektiven Wirklichkeit entfernt. In Sachen Jugendkriminalität täuschten sich die Menschen gravierend. Sie werde regelmäßig viel höher eingeschätzt, als sie tatsächlich sei. Trotzdem seien Brutalität und die Bereitschaft dazu nicht wegzudiskutieren, so der Kriminologe. Beides komme aus dem persönlichen Umfeld der Täter. In vielen Familien gehöre Faustrecht zur Männlichkeit. Gewalt ist oft an der Tagesordnung. Sie wird nicht als ungerecht oder verboten empfunden. Wer so aufwachse, wende selbst Gewalt an. Allerdings glaubt Pfeiffer feststellen zu können, dass Eltern heute ihren Kindern mehr Zuneigung schenken: Es gibt eine Zunahme der Liebe und eine deutliche Abnahme der Hiebe.
Der Geschäftsführer des Kulturzentrums, Gerhard Schulz, sieht Versäumnisse. Der Kulturpark hat eine Zeit lang zu viel Freiheit geboten. Dadurch ist eine gewisse Regellosigkeit eingetreten. Wenn keiner eingreife, so spreche sich das herum, ziehe auch andere Milieus an. Jedenfalls hätten die Vorfälle eine gewisse Schieflage bewirkt. Man habe es nicht leicht, das Bild wieder gerade zu rücken. Dabei gehe es auf dem Gelände des Schlachthofs meist friedvoll zu.
Kriminalhauptkommissarin Petra Kayn erlebt in ihrer täglichen Arbeit, dass das sogenannte Cyber-Mobbing zunehme. Die Schule werde zum Schauplatz, sowohl Lehrer als auch Schüler würden öffentlich an den Pranger gestellt. Ein Großteil der Opfer seien Schüler, das Mobbing finde vor allem zwischen Gleichaltrigen statt. Die Kommissarin beklagt Respektverlust – auch den der Schüler untereinander. Ganz anders Daniela Karlowski von Moja. Das Kürzel steht für Mobile Jugendarbeit. Sie stört, dass nur wenige Erwachsene Respekt vor Jugendlichen haben. Junge Menschen würden von den Älteren oft mit Misstrauen gesehen. Man dulde sie einfach nicht. Wenn sich Jugendliche irgendwo treffen, gehen die Fenster auf: Verschwindet, haut ab. Wenn dann Eier gegen die Scheiben geworfen werden, will niemand die Vorgeschichte des Konflikts kennen.
Mehr Sicherheit in einer Stadt, da waren sich die Diskussionsteilnehmer fast einig, entsteht durch mehr Licht in dunklen Ecken, durch mehr Polizeipräsenz auf den Straßen. Krminologe Pfeiffer: Wenn Menschen sich die Räume zurückerobern, sie nicht leer lassen, dann geht es allen Bürgern besser.
(Quelle: Wiesbadener Tagblatt vom 23.11.2011)