Positionspapier RegioBahn Wiesbaden

Wiesbaden ist eine attraktive Stadt zum Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Leben. Als regionales Oberzentrum nimmt sie eine zentrale Rolle im Geflecht der Großstädte des Rhein-Main-Gebietes wahr.

Wiesbaden hat jedoch auch seine Defizite: Dazu gehört zum einen eine stark verbesserungswürdige Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die Rhein-Main-Region, zum anderen ein überlastetes innerstädtisches Straßenverkehrsnetz. Dies bringt erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen (Lärm und Luftverschmutzung) für die Bewohner der Innenstadt mit sich.

Es ist die Aufgabe kommunaler Verkehrspolitik, das steigende Mobilitätsbedürfnis der Bevölkerung aufzufangen und intelligente Lösungsansätze vorzuschlagen. Diese müssen Mobilität bereitstellen ohne die Umwelt und die Bevölkerung mehr als unbedingt nötig zu belasten. Dabei kommt es zukünftig immer mehr auf die intelligente Verknüpfung verschiedener Verkehrsträger an.

Ziel ist es, Mobilität für möglichst viele Menschen bereitzustellen. Steigende Verkehrsmengen und beschränkter Straßenraum prägen dabei den Stadtverkehr: Zusätzliche Versiegelung von Flächen soll vermieden werden und der Straßenraum kann meist nicht ausgeweitet werden kann.

Wiesbaden verfügt zum jetzigen Zeitpunkt über ein gutes innerstädtisches Bussystem. Dieses stößt gleichwohl zunehmend an seine Grenzen: Aufgrund fehlender Busspuren stehen die Busse an vielen Stellen gemeinsam mit den Autos im Stau. Die Mobilität ist vielerorts, gerade in Spitzenzeiten, stark eingeschränkt. Da die Kapazitäten der zentralen ÖPNV-Knotenpunkte (v.a. Luisenplatz / Neugasse, Platz der dt. Einheit/Schwalbacher Straße, Hauptbahnhof) nahezu ausgeschöpft sind, kann das Bussystem nicht mehr beliebig ausgebaut werden. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt stauen sich zum Beispiel in den Hauptverkehrszeiten die Busse vom Luisenplatz bis zur Schwalbacher Straße zurück.

Wenn das Angebot durch einen kürzeren Takt und weitere Buslinien attraktiver gestaltet werden soll, werden zwangsläufig mehr Busse die Innenstadt queren müssen. Dies würde an den zentralen Haltestellen und Bustrassen dazu führen, dass sich ein Bus an den anderen reiht. Auch eine ausschließlich für den Bus zur Verfügung stehende Trasse wäre damit bereits an ihrer Grenze angelangt.

Für die Mobilitätsbedürfnisse des 21. Jahrhunderts sind neue und intelligente Lösungen gefragt, die den Umstieg auf den ÖPNV attraktiv machen, gleichzeitig jedoch weder den Autofahrer im Stau stehen lassen oder das Auto aus der Innenstadt verbannen. Vielmehr bedarf es einer klugen Kombination von Verkehrssystemen, welche die Wiesbadenerinnen und Wiesbadener unkompliziert und preisgünstig zu ihrem Ziel innerhalb wie außerhalb Wiesbadens bringt und auch für Ein- und Auspendlern  attraktiv ist.

Das von unserer Dezernentin Sigrid Möricke seit September dieses Jahres geführte Stadtentwicklungsdezernat prüft daher derzeit die Machbarkeit eines modernen RegioBahn-Systems. Ein solches könnte bevölkerungsreiche Stadtteile mit der Innenstadt verbinden, an der Stadtgrenze künftig umsteigefrei auf das Netz der regulären Eisenbahn übergehen und vor dort Wiesbaden mit der Rhein-Main-Region vernetzen. Innerstädtisch könnte der Verkehr auf Schienen am Stau „vorbei fahren“, außerstädtisch könnten die bekannten Vorteile des Regional- oder S-Bahn-Systems genutzt werden.

Dieses als „Karlsruher Modell“ bekannt gewordene Verkehrsmittel ist in deutschen Städten wie Karlsruhe, Kassel, Saarbrücken und Chemnitz sowie in französischen Städten wie Bordeaux und Montpellier erfolgreich im Betrieb.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Nicht nur, dass Bahnen einen höheren Fahrgastkomfort bieten als Busse, schneller unterwegs sind und auf ihrer eigenen Trasse weniger stark von Verspätungen betroffen sind. Vor allem die Verknüpfung der Innenstadt mit Zielen der Region (wie Frankfurt oder dem Flughafen) böte Wiesbaden im Wettbewerb der Städte der Rhein-Main-Region einen unschätzbaren Standortvorteil und den Wiesbadenerinnen und Wiesbadenern einen Zuwachs an Lebensqualität.

Durch die größere Befördungskapazität von Schienenfahrzeugen (im Vergleich zu Bussen), können mehr Fahrgäste pro Einheit befördert werden. Bei gleichbleibenden Fahrgastzahlen kann so (in Relation zum Ist-Stand) die Anzahl der ÖPNV-Fahrzeuge pro Stunde gesenkt, bei steigenden Fahrgastzahlen zumindest der Status-quo gehalten werden.

Elektrisch betriebene Schienenfahrzeuge bieten außerdem den Vorteil, dass sie vor Ort weder CO2 noch andere Luftschadstoffe (Rußpartikel, Stickoxide, etc.) emittieren und nur einen Bruchteil des Feinstaubes (Bremsabbrieb) produzieren. Die Umstellung eines Teiles der Buslinien würde somit einen relevanten Beitrag zur Umsetzung der Wiesbadener Klimaschutzziele leisten und die Luftqualität gerade an stark befahrenen Innenstadttrassen spürbar verbessern. Auch die Lärmbelastung der betroffenen Anwohner würde sich verringern.

Neben den verkehrs- und umweltpolitischen Aspekten birgt das Projekt RegioBahn auch städtebauliche und stadtentwicklungspolitische Chancen:

In den betroffenen Straßenzügen könnten zunächst für die nächsten Dekade bereits geplante Kanal- und Kabelarbeiten vorgezogen und zusammen mit dem Trassenbau gebündelt durchgeführt werden. Anschließend können – im Zuge des notwendigen Einbaus der Gleise – Fußgängerwege, PKW-Fahrstreifen und Radwege neu angeordnet und optimiert werden. Zum Schluss bietet sich die Chance, den öffentlichen Straßenraum auch aus ästhetischer Sicht neu zu gestalten.

Daneben wird der Wirtschafts- und Kongressstandort Wiesbaden von einer RegioBahn profitieren: Wohnungen, Geschäfte und Büros entlang der Trasse werden von der verbesserten ÖPNV-Verbindung profitieren; die betroffenen Stadtteile und Innenstadtquartiere werden an Attraktivität gewinnen. In der späteren Ausbaustufe – der eigentlichen RegioBahn – werden die jeweiligen Standorte direkt, schnell und ohne Umsteigen mit wichtigen Regionalzielen verbunden sein. Die Rhein-Main-Hallen oder die Bürozentren entlang von Bahnhof- und Mainzer Straße würden so beispielsweise über eine Direktverbindung zum Frankfurter Flughafen verfügen. Entlang der Trasse würde zudem die Möglichkeit bestehen, neue hochattraktive Wohn- und Gewerbegebiete zu entwickeln.


Der Arbeitskreis Stadtentwicklung zieht aus diesen Überlegungen die folgenden Konsequenzen:

(1)    Die laufenden Untersuchungen des sozialdemokratisch geführten Stadtentwicklungsdezernates zur Einführung eines RegioBahn-Systems für Wiesbaden werden ausdrücklich begrüßt. Die Erfahrungen anderer Städte haben gezeigt, dass ein solches eine zukunftsweisende und gleichzeitig hochakzeptierte Lösung aktueller und künftiger Verkehrsprobleme sein kann.

 

(2)    Unterbezirksvorstand und Stadtverordnetenfraktion werden daher aufgefordert, die Arbeit von Sigrid Möricke aktiv zu unterstützen und gemeinsam auf eine entscheidungsfähige Vorlage hinzuarbeiten.

 

(3)    Der Unterbezirksvorstand sollte für das Frühjahr 2012 einen Sonderparteitag vorbereiten. Auf diesem sollte ein Grundsatzbeschluss zum Projekt RegioBahn gefällt werden.

 

(4)    Bis zum obigen Sonderparteitag sollte ferner ein Alternativvorschlag zum Ausbau des bestehenden Bussystemes erarbeitet werden. Dieser sollte darlegen,

  • wie das Wiesbadener Bussystem im Bestand verbessert werden kann und welche Konsequenzen sich aus den zu erwartenden Mobilitäts- und Fahrgastzuwächsen ergeben werden,

 

  • mit welchen Maßnahmen und mit welchen Kosten die Infrastruktur des Bussystems (Busspuren, Ampelvorrangschaltungen, Intelligente Steuerungssysteme, etc.) verbessert werden können und welche Konsequenzen sich dann aus den zu erwartenden Mobilitäts- und Fahrgastzuwächsen ergeben werden.

 

(5)    Über das Projekt RegioBahn sollte eine breite öffentliche Debatte geführt und ein hohes Maß an Transparenz hergestellt werden.